Harvard-Konzept

07.01.2021 | Business Know-How

Die meisten Menschen kennen nur zwei Verhandlungstechniken:

  • Weiche Verhandlungstechnik: Persönliche Konflikte sollen vermieden werden und deswegen werden Zugeständnisse gemacht, um eine Übereinkunft zu erzielen Eine friedliche Lösung wird gesucht.
  • Harte Verhandlungstechnik: Jedes Verhandeln stellt einen Willenskampf dar: „Man will gewinnen“. Dies wird erreicht, indem die extremere Position eingenommen wird und man so lange wie möglich durchhält.

Andere Standardstrategien bei Verhandlungen bewegen sich zwischen hart und weich. Es werden Kompromisse gesucht, um das Gewünschte zu erreichen und die Beziehungen zum gegenüber nicht zu zerstören.

Das Harvard-Konzept beschreibt nun eine universal einsetzbare Verhandlungsmaxime, die das das sachbezogene Verhandeln (sog. „principled negotiation“) zur Maxime erhebt. Diese Methode ist weder hart noch weich, sondern hart und weich. Die Streitfragen sollen nämlich nach ihrer Bedeutung und nach ihrem Sachgehalt entschieden werden: Die Methode des sachbezogenen Verhandelns ist hart in der Sache, aber weich gegenüber dem Menschen.

Entwickelt wurde dieses Konzept im Harvard Negotiation Project, einem interdisziplinären Forschungsprojekt der Harvard Law School.

Einführung

Das Problem bei Verhandlungen besteht darin, dass oft gefeilscht (z.B. auf dem Markt zwischen dem Verkäufer und dem Käufer) wird. Dabei werden Positionen eingenommen und damit werden die Grundkriterien einer klugen, effizienten und gütlichen Einigung verfehlt.

Positionsgerangel provoziert jedoch unkluge Einigungen:

  • Verhandelnde, die um Positionen feilschen, fangen sich oft selbst in dieser Position. Je mehr man die Gegenseite versucht davon zu überzeugen, dass man seine Ausgangsposition nicht ändern kann, desto schwieriger wird es, dies doch noch zu tun.
  • Das eigene Ego identifiziert sich mit dieser Position und man will sein Gesicht wahren.
  • Falls eine Einigung doch zu Stande kommt, dann ist sie oft für beide Parteien weniger zufriedenstellend, als es tatsächlich möglich gewesen wäre.

Feilschen um Positionen ist zudem ineffizient:

  • Sobald um Positionen gefeilscht wird, wird die Klärung herausgeschoben.
  • Beide Parteien halten stur an ihrer extremen Position fest und gehen nur kleine Zugeständnisse ein; somit verzögert sich eine Einigung .

Nettsein ist aber auch keine Lösung:

  • Hartes Streiten erfordert einen hohen Preis. Deswegen versuchen einige Parteien durch einen freundlicheren Verhandlungsstil dies zu vermeiden.
  • Oft werden schnelle und wirkungsvolle Ergebnisse erzielt, jedoch sind die nicht immer vernünftig.
  • Außerdem besteht die Gefahr, dass man zur leichten Beute wird für diejenigen, die hart um ihre Positionen kämpfen.

Eine Alternative zum Feilschen um Positionen besteht im sachbezogenen Verhandeln nach dem Harvard-Konzept. Diese Verhandlungstechnik beruht im Wesentlichen auf vier Grundaspekten:

  • Menschen: Menschen und Probleme getrennt voneinander behandeln!
  • Interessen: Nicht Positionen, sondern Interessen in den Mittelpunkt stellen!
  • Möglichkeiten: Vor der Entscheidung verschiedene Wahlmöglichkeiten entwickeln!
  • Kriterien: Das Ergebnis auf objektiven Entscheidungsprinzipien aufbauen!

Durch diese vier Grundprinzipien soll eine Win-Win-Situation geschaffen werden. Die Lösung soll für alle Parteien befriedigend sein und die guten Beziehungen sollen erhalten bleiben.

1. Prinzip: Menschen und Probleme getrennt behandeln

Verhandlungspartner sind zuallererst Menschen. Bei Auseinandersetzungen wird schnell vergessen, dass auch das Gegenüber von Gefühlen geleitet wird und nicht einfach ein Roboter ohne menschliche Gefühle ist. Dieser menschliche Aspekt kann einem beim Verhandeln nützen, u.a. in dem langjährige Kontakte eine Verhandlung erleichtern. Sie können aber auch stören, insbesondere dann, wenn durch negative Gefühle wie Verärgerung, Frustration etc. Vorurteile bei der Gegenseite provoziert werden und diese dann durch die Äußerungen der Vorurteile negative Gegenreaktionen auslösen.

Jeder Verhandlungspartner hat zwei Grundinteressen:

  • der Verhandlungsgegenstand,
  • die persönlichen Beziehungen.

Jeder Verhandlungspartner sucht nach Übereinkünften, die seine sachlichen Interessen befriedigen – aus diesem Grunde verhandelt er ja. Darüber hinaus hat er aber auch ein Interesse an seiner Beziehung zur Gegenseite. Um zu verhindern, dass die persönliche Beziehung zwischen den Parteien nicht mit sachlichen Fragestellungen vermengt wird, kann es deshalb von Vorteil sein, persönliche Beziehungen von der Sachfrage zu trennen.

Es ist daher wesentlich, jede Verhandlung so zu führen, dass künftige Beziehungen und Verhandlungen gefördert und nicht beeinträchtigt werden.

Wichtig

Das Aufrechterhalten der Beziehung zu langjährigen Kunden, Geschäftspartnern, Berufskollegen etc. ist weit wichtiger als das Ergebnis irgendeiner einzelnen Verhandlung!

Persönliche Beziehungen vermischen sich leicht mit anstehenden Problemen. Bei Verhandlungen können daher leicht persönliche Beziehungen mit sachlichen Auseinandersetzungen vermengt werden. Ein anderer Grund für Vermischungen liegt darin, dass Menschen meist gegenüber einem bestimmten – individuell festgelegten – Personenkreis automatisch Darlegungen dieser Person eher selten so annehmen wie die Person diese auch gemeint hat. Noch verhängnisvoller bei „solchen“ Vermischungen ist, wenn aus reinem Kampf um den stärkeren Willen eine immer extremere Position eingenommen wird, nur um der Gegenseite zu zeigen dass man einen stärkeren Wille habe.

Mit Sachproblemen fertig zu werden und gleichzeitig gute Beziehungen aufrecht erhalten zu können, muss jedoch nicht konfliktreich sein. Beide Seiten müssen hierfür jedoch beides getrennt voneinander und nach dem Gesichtspunkt der jeweiligen Legitimität behandeln, um sich so dem „Problem Mensch“ annehmen zu können. Das „Problem Mensch“ tritt insbesondere bei folgenden Faktoren auf:

  • Vorstellungen,
  • Emotionen,
  • Kommunikation.

Vorstellungen

Bei Konflikten versucht man oft, durch „objektive Wirklichkeiten“ den streitigen Gegenstand zu untersuchen. Wird dann eine „Wahrheit“ entdeckt, ist dies ein zusätzliches Argument – manchmal ein gutes, manchmal ein weniger gutes – zur Behandlung des Falles. Jedoch können selbst noch so deutliche Fakten nicht zwingend zu einer Lösung beitragen, da der Konflikt in den Köpfen der Menschen liegt. So nützlich die Betrachtung von „objektiven Wirklichkeiten“ sein mag, müssen letztlich die Gedanken und Ängste der Gegenseite – mögen sie noch so unbegründet sein – beachtet werden, da erst die Sichtweise beider Parteien den Weg zu einer Lösung öffnet.

Insoweit bestehen folgende Lösungsansätze:

Versetzen Sie sich in die Lage des Verhandlungspartners!

Menschen haben nämlich die Eigenart, nur das zu sehen, was sie sehen wollen, und sie lassen außer acht, was die persönlichen Vorstellungen infrage stellen könnte. Eine der wichtigsten Fähigkeiten des Verhandelns ist es deshalb, eine Situation auch von der anderen Seite zu sehen. Durch ein besseres Verständnis für die Gegenseite kann der Konfliktbereich eingeschränkt werden. Dies hilft einem auch, die eigenen Interessen neu abzuklären.

Leiten Sie niemals die Absichten anderer aus den eigenen Befürchtungen ab!

Menschen neigen zu der Annahme, das die Gegenseite immer das tut, was sie selbst befürchten. Aus der eigenen Vorstellung entsteht aber oft zwangsläufig Argwohn. Dadurch wird häufig verhindert, dass von der Gegenseite unterbreitete neue Ideen abgewägt oder subtile Positionsänderungen erkannt werden.

Machen Sie die Gegenseite nicht für eigene Probleme verantwortlich!

Leicht lässt man sich verführen, die Gegenseite für eigene Probleme verantwortlich zu machen. Allerdings ist ein Tadel meistens unproduktiv, selbst wenn er gerechtfertigt ist. Die Gegenseite wehrt sich natürlich gegen die Vorwürfe und wird widersprechen und evtl. sogar einen Gegenangriff starten. Durch Schuldzuweisungen werden menschliche und sachliche Seiten der Angelegenheit vermischt!

Sprechen Sie über die Vorstellungen beider Seiten!

Häufig lässt man bei Verhandlungen die Interessen der anderen Vertragspartei als „unbedeutend“ außer Acht, da man glaubt, dass sie einer Einigung nicht entgegenstehen. Allerdings kann gerade die ausdrückliche und überzeugende Artikulation dessen, was die andere Seite gerne hören oder selbst aussprechen will, besonders gut auf Verhandlungen auswirken.

Ändern Sie falsche Vorstellungen durch unerwartetes Verhalten!

Verhält sich ein Vertragspartner anders als von der Gegenseite erwartet, ist diese gezwungen, sich ein neues Bild von dem Partner zu machen. Insbesondere kann ein unerwartetes Entgegenkommen in einer streitigen Sache neues Vertrauen schaffen!

Beteiligen Sie die Gegenseite am Ergebnis!

Wird die Gegenseite vor vollendete Tatsachen gestellt, sind die Erfolgschancen wohl eher gering. Deshalb sollte man die Gegenseite frühzeitig in die Lösungsfindung mit einbinden, ihren Rat und ihre Meinung einholen. Neben den sachlichen Vorzügen ist das Gefühl einer Beteiligung am Entscheidungsprozess wohl der einzige wichtige Faktor bei der Entscheidung über die Akzeptanz eines Vorschlags durch den Verhandlungspartner.

Wahren Sie stets das Gesicht der Gegenseite!

Oft beharren Verhandlungspartner auf ihren Positionen nicht deshalb, weil der Gegenvorschlag inakzeptabel ist, sondern weil sie gegenüber der Gegenseite nicht klein beigeben wollen. Ein solches Bedürfnis des „Gesicht-Wahrens“ darf nicht ignoriert oder gar belächelt werden. Hierin äußert sich nämlich die Notwendigkeit, den Verhandlungsstandpunkt mit den bisher in Worten und Taten verfochtenen Grundsätzen in Einklang zu bringen. Insoweit ist etwa zu prüfen, ob sich die Sachlage so umformulieren und begrifflich fassen lässt, dass sie nach einem fairen Ergebnis aussieht, So kann eine Übereinkunft doch noch zustande kommen.

Emotionen

Besonders bei harten Verhandlungen sind mitunter Gefühle wichtiger als das Gespräch. Oft bekämpfen sich die Parteien nur noch, anstatt an einer kooperativen Lösung zu arbeiten. Emotionen führen so Verhandlungen oft in eine Sackgasse. Es kann daher nützlich sein über die eigenen Emotionen oder derjenigen der Gegenseite zu sprechen:

  • Warum bin ich verärgert?
  • Weshalb ist es die Gegenseite?

Werden die eigenen Gefühle oder diejenigen der Gegenseite zum Diskussionsgegenstand, unterstreicht dies nicht nur den Ernst der Lage, sondern die Verhandlungen werden auch weniger reaktiv, sondern vielmehr aktiv.

Haben sich die Parteien die unausgesprochenen Emotionen einmal von der Seele geredet, werden sie sich auch viel lieber wieder den Problemen selbst widmen. Insoweit empfehlen sich folgende Lösungsansätze:

  • Gestatten Sie der Gegenseite gestatten, Dampf abzulassen: Muss ein Verhandlungspartner Dampf ablassen – sollte man ihn lassen. Seelische Erleichterung erreicht man dadurch, dass man seinen Kummer artikuliert. Die beste Strategie ist es dabei, ruhig zuzuhören und den Verhandlungspartner seinen Kummer abladen lassen. Nur wenn es zu direkten Ausfällen kommt, kann man die Gegenseite unterbrechen.
  • Benutzen Sie symbolische Gesten: Manchmal reicht eine einfache Geste – insbesondere im Privatleben –, um Emotionen abzubauen und bei der Gegenseite positive Emotion auszulösen, Dies kann ein Zeichen von Sympathie, ein Ausdruck des Bedauerns, eine Umarmung usw. sein, Die – ehrlich gemeinte – Entschuldigung bleibt jedoch weiterhin die wohl effektivste Methode, um eine angespannte Situation aufzulösen.

Kommunikation

Ohne Kommunikation ist Verhandeln unmöglich. Kommunikation ist jedoch niemals leicht; insbesondere gibt es drei große Probleme bei der Kommunikation, welche beachtet werden müssen:

  • Die Verhandlungspartner sprechen nicht miteinander oder zumindest nicht so, dass sie einander verstehen.
  • Die Partner hören sich nicht aufmerksam zu.
  • Es kommt zu Missverständnissen.

Um dies zu vermeiden, gibt es folgende Lösungsansätze:

Hören Sie aufmerksam zu und geben Sie Rückmeldung über das, was gesagt wurde!

Nur wenn man einander wirklich zuhört, erkennt und versteht man die Vorstellungen der Gegenseite. Es kann auch den Ausführungen der Gegenseite zugute kommen, wenn man aufmerksam ist, indem man z.B. kurz nachfragt: „Habe ich Sie richtig verstanden, sie meinen damit…“. So erkennt die Gegenseite, dass sie hier nicht ihre Zeit vergeudet, sondern die Gegenpartei seine Position aufmerksam verfolgt und versteht.

Wichtig

Verstehen bedeutet jedoch nicht auch übereinstimmen! Man kann die Gegenseite völlig verstehen und doch ganz anderer Meinung sein.

Sprechen Sie so, dass man Sie auch versteht!

Es geht nicht darum, Dritte zu überzeugen. Die einzige Person, die überzeugt werden muss, ist der Verhandlungspartner, die gemeinsam mit einem am Tisch sitzt. An diese sollte man sich auch wenden!

Sprechen Sie über sich selbst, nicht über die Gegenseite!

Häufig versucht man, die Absichten und Motive der Gegenseite darzulegen, um sie am Ende dann doch wieder zu verwerfen. Es ist jedoch dienlicher, wenn man ein Problem durch seine Rückwirkungen auf einen selbst beschreibt. Dies bringt den Vorteil, dass wenn ich nur über meinen Gefühlszustand rede, niemand etwas daran aussetzen kann. Stellt man hingegen eine Behauptung auf, die auf der Gegenseite als unwahr empfunden wird, ärgert sich diese darüber oder ignoriert die Bemerkung einfach, und die dahinter stehende Absicht bleibt außer Betracht.

Sprechen Sie immer mit einer bestimmten Absicht!

Manche Gedanken lässt man besser unausgesprochen – insbesondere wenn es Ärger und Unbehagen gibt. Auch ist darauf zu achten, ob einzelne Vertragspunkte bereits ausgehandelt sind, so dass ein „Fass nicht wieder neu aufgemacht“ wird. Bevor man einen verbindlichen Satz ausspricht, sollte man sich klar machen,

  • was man eigentlich mitteilen will und
  • zu welchem Zweck die Information dient.

Vorausdenken

In der Regel helfen die oben erwähnten Techniken im Umgang mit Vorstellungen, Emotionen und der Kommunikation. Noch besser wäre es jedoch, das „Problem Mensch“ schon zu behandeln, bevor es wirklich zum Problem wird. Lösungen hierfür sind:

Lernen Sie die Gegenseite persönlich kennen!

Indem man eine persönliche und gefestigte Beziehung zur Gegenseite aufbaut und die Verhandlungen so strukturiert, dass Sachfragen von der menschlichen Beziehung gekoppelt werden, kann man sich vor der Vermischung mit Sachauseinandersetzungen bewahren.

Gehen Sie stets das Problem an – und nicht den Menschen!

Für eine erfolgreiche Verhandlung ist es nützlich, wenn beide Seiten sich als Partner sehen, die Seite an Seite mit aller Kraft nach fairen für beide Seiten förderlichen Übereinkommen suchen.

2. Prinzip: Auf Interessen konzentrieren, nicht auf Positionen

Um sich über die eigenen Interessen, aber auch diejenigen der Gegenseite ein Bild zu verschaffen, sollten Sie folgende Fragen beantworten:

  • Warum?
    • Betrachten Sie das Problem nicht nur von Ihrer Seite, sondern auch von der anderen Seite aus.
    • Sollten Sie sich über die Interessen der Gegenseite im Unklaren sein, fragen Sie dort direkt nach!
  • Warum nicht?
    • Erkennen Sie, dass beide Seiten vielfältige Interessen haben. Das Interesse der Gegenseite muss Ihrem nicht unbedingt entgegen stehen.

Bedenken Sie dabei, dass die menschlichen Grundbedürfnisse fundamental, aber trotzdem leicht zu übersehen sind, z.B.:

  • Sicherheit,
  • Wirtschaftliches Auskommen,
  • Zugehörigkeitsgefühl,
  • Anerkennung,
  • Selbstbestimmung.

Wenn Sie mit der Gegenseite über Interessen sprechen, sollten Sie

  • die eigenen Interessen deutlich machen,
  • die Interessen der anderen als Teil des Problems anerkennen,
  • erst das Problem darstellen, dann antworten,
  • nach vorne schauen, nicht rückwärts,
  • bestimmt, aber flexibel sein,
  • hart in der Sache, aber sanft zu den beteiligten Menschen sein.

3. Prinzip: Entwickeln von Entscheidungsmöglichkeiten zum beiderseitigen Vorteil

Es gibt vier Haupthindernisse hinsichtlich der Entwicklung einer Vielfalt von Entscheidungsmöglichkeiten:

  • Vorschnelles Urteil,
  • Suche nach „der“ richtigen Lösung”,
  • Die Annahme, dass der „Kuchen“ begrenzt sei,
  • Die Vorstellung, dass die anderen ihre Probleme selbst lösen sollen.

Vorschnelles Urteil

Ein vorschnelles Urteil liegt vor, wenn von vorneherein nur eine Lösung für ein Problem angesehen wird.

Das Problem dabei besteht darin, dass Optionen und Alternativlösungen durch kritisches Hinterfragen bereits im Keim erstickt werden, wodurch die Diversität von Entscheidungsmöglichkeiten beschränkt wird. Ideen werden schon zu Beginn als untauglich wieder verworfen.

Die Lösung besteht darin, dass der Prozess des Findens von Optionen von der Beurteilung eben dieser Optionen getrennt wird. Am besten lässt sich dies mittels eines Brainstormings bewerkstelligen, entweder mit eigenen Leuten oder direkt mit der Gegenseite. Dabei kann eine Trennung zwischen dem Akt der Entwicklung von Optionen und dem Vorgang der Entscheidung zwischen diesen Optionen vorgenommen werden.

Suche nach „der“ richtigen Lösung”

Bei der Suche nach „der“ richtigen Lösung wird versucht, sich auf die „einzig wahre“ Lösung zu fokussieren, welche zwischen den beiden Positionen liegen soll.

Dieses Problem lässt sich dadurch lösen. dass zunächst nicht nach „der“ richtigen Lösung gesucht wird, sondern die Zahl der Optionen vergrößert werden soll. Die Anzahl möglicher Übereinkünfte kann man auch dadurch vermehren, dass man neben den „härteren“ Möglichkeiten (umfassende, endgültige oder bedingungslose Einigung) auch „weichere“ Möglichkeiten in Betracht zieht (partielle, prinzipielle oder bedingte Einigung).

Ebenso kann die Reichweite einer Übereinkunft verändert werden, indem diese entweder als Teillösung in handlichere Einheiten verkleinert oder die Gesamtmaterie mit zusätzlichen Anreizen, als „Verzuckerung“, vergrößert wird.

Annahme, dass der „Kuchen“ begrenzt sei

Hier gehen die Verhandlungspartner davon aus, dass nur eine „Entweder-Oder“-Lösung möglich ist:

„Entweder ich bekomme das Fragliche oder du bekommst es!“

Die Lösung dieses Dilemmas besteht darin, sich nicht auf eine „Entweder-Oder“-Lösung zu beschränken, sondern nach Vorteilen für alle Seiten Ausschau halten. Dafür müssen zuerst die gemeinsamen Interessen der Verhandlungsparteien eruiert werden, welche – wenn oft auch verborgen – bei nahezu jeder Verhandlung vorhanden sind. Alsdann sollen die gefundenen gemeinsamen Interessen konkretisiert und als gemeinsame Ziele festgelegt werden; dadurch werden die Verhandlungen flüssiger und freundlicher.

Beispiel

In einem Raum befinden sich zwei Personen. Die eine möchte das Fenster öffnen, der andere möchte es geschlossen halten.

Zur Lösung dieses Problems sind die beiderseitigen Interessen anzusprechen. Der eine gibt an, dass er frische Luft benötigt, den anderen stört der Straßenlärm.

Die Lösung besteht darin, dass Fenster kurzfristig zu öffnen, um frische Luft herein zu lassen, und es dann wieder zu schließen!

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dem Verhandlungspartner mehrere, für sich selbst akzeptable Wahlmöglichkeiten zu präsentieren, aus denen er die ihm favorisierende Option auswählen kann.

Beispiel

Einen Kuchen teilt man am Besten dadurch, dass eine Person den Kuchen durchschneidet und die andere Person anschließend sein Stück auswählt.

Vorstellung, dass die anderen ihre Probleme selber lösen sollen

Ein Problem entsteht regelmäßig, wenn die Verhandlungspartner sich nur mit den eigenen unmittelbaren Interessen beschäftigen.

Stattdessen ist es zielführender, wenn beide Parteien Vorschläge entwickeln, welche auch die Interessen der anderen Partei berücksichtigt und dadurch die Entscheidung erleichtert.

Der eigene Erfolg bei einer Verhandlung besteht nämlich darin, dass der Verhandlungspartner Entscheidungen in meinem Sinn trifft; deshalb ist es wichtig, ihm diese Entscheidung so gut wie möglich zu erleichtern. Am einfachsten geht dies, wenn man sich in die Lage des Gegenüber versetzt und versucht herauszufinden, welche Interessen bestehen, welche Bedingungen erfüllt sein müssen und welche Lösungen als fair empfunden werden.

Aufgrund von diesen Erkenntnissen können dem Verhandlungspartner verschiedene Lösungsmöglichkeiten vorgeschlagen werden.

Wichtig

Warnungen und Drohungen vor möglichen Konsequenzen im Ablehnungsfall sind dabei fehl am Platz, positive Angebote sind viel effektiver!

4. Prinzip: Das Ergebnis auf objektiven Entscheidungsprinzipien aufbauen

Das vierte und zugleich letzte Prinzip des Harvard- Konzepts will den Parteien aufzeigen, wie man Verhandlungsergebnisse erzielt, die unabhängig von ihrem Willen sind. Das Ziel besteht darin, dass Ergebnisse herauskommen, die dem Willen beider Parteien entsprechen.

Der Grund hierfür liegt schlichtweg in der Wirtschaftlichkeit einer Verhandlung. So wird kaum eine Verhandlung effektiv oder gütlich verlaufen, wenn die Parteien sich gegenseitig ihren Willen aufzwingen. Die Folgen sind unvernünftige Übereinkommen und hohe Kosten, denn beim Feilschen um Positionen verbringen die Verhandlungspartner viel Zeit mit der Selbstverteidigung und mit dem Angriff auf die Gegenseite.

Entwicklung objektiver Kriterien

Die Lösung besteht darin, dass man von subjektiven Prinzipien wegkommt und dafür auf einer neutralen Basis verhandelt, auf einer Basis von objektiven Kriterien, die beiden Seiten passen.

Wichtig

„Der Verhandlung muss ein gewisser Standard beigelegt werden.“

Wichtig ist, dass die Kriterien unabhängig vom beiderseitigen Willen sowie fair, effektiv und praktisch durchführbar sind. Von Vorteil ist auf jeden Fall, wenn die objektiven Kriterien gesetzlich legitimiert sind und eine wissenschaftliche Sachbezogenheit des Problems zum Tragen bringen, damit man zu einem vernünftigen Resultat gelangen kann, z.B.:

  • Marktwert,
  • frühere Vergleichsfälle,
  • Meinungen von Sachverständigen,
  • Kosten,
  • Gleichbehandlung,
  • Tradition.

Damit Ergebnisse zustande kommen, die unabhängig vom Willen der Beteiligten sind, kann man die soeben erläuterten objektiven Kriterien sowohl für die Inhalte wie auch für die Verfahrensweise zur Abstimmung der sich widersprechenden Interessen verwenden.

Verhandeln mithilfe von objektiven Kriterien

Sachbezogenes Verhandeln hat drei Grundelemente:

  • Jeder Streitfall muss zur gemeinsamen Suche nach objektiven Kriterien umgewandelt werden.
  • Die Argumentation soll vernünftig bleiben, vor allem offen gegenüber Argumenten, die auf einsichtigen Kriterien beruhen. Ebenso wie der Verhandlungspunkt nicht auf der Grundlage bloßer Willenskämpfe entschieden werden soll, darf auch die Frage nach den verwendeten Kriterien nicht bloß von der Willkür der einen oder anderen Seite abhängen. Können sich die Parteien immer noch nicht auf ein gemeinsames Kriterium einigen, so bittet man eine unabhängige und faire Dritt- Person um Rat, welches Kriterium zur Beilegung verwendet werden soll.
  • Man sollte niemals irgendwelchem Druck nachgeben, sich also nur sinnvollen Prinzipien beugen. Druck kann zwar in den verschiedensten Formen auftreten. In diesem Moment soll man aber weiterhin die Gegenseite auffordern, vernünftig zu argumentieren, selber neue objektive Kriterien entwickeln und darauf aufmerksam machen, dass man auf deren Grundlage weiterverhandeln möchte.

Nur wenn das Kriterium brauchbar ist, kann man zu einem Übereinkommen gelangen, ohne dass man sich einer willkürlichen Position unterworfen hat. Rückt die Gegenseite aber immer noch nicht von ihrer Position ab, gibt es nur zwei Varianten:

  • Entweder man nimmt die ungerechtfertigte Position in Kauf.
  • Man wendet sich der besten sich bietenden Alternative zu.

Ja, aber…

… was passiert, wenn die Gegenseite stärker ist?

Wenn die Macht auf der Gegenseite beruht, kann keine Verhandlungstechnik einen Erfolg garantieren (bei jeder Verhandlung gibt es Realitäten, die einfach nicht zu ändern sind). Wenn die Gegenseite viel stärker ist, kann eine geschickte Verhandlungsart allenfalls zwei Ziele erreichen:

  • Schutz vor einer ungewollten Übereinkunft!
  • Das Beste aus der schlechten Ausgangslage herausholen!

Insoweit ist die Festsetzung eines Limits grundsätzlich abzulehnen. Wenn man sich selbst ein Limit setzt, dann kann man zwar dem Druck und der Versuchung des Augenblicks leichter widerstehen, allerdings fordert solch ein Limit auch einen hohen Preis. Es schränkt nämlich auch die Fähigkeit ein, von dem zu profitieren, was man erst während der Verhandlung erfährt; ein Limit ist ja per definitionem eine unverrückbare Position.

Die bessere Lösung besteht darin, sich Klarheit über die „Beste Alternative“ verschaffen. Der Grund dafür, dass man über etwas verhandelt, liegt prinzipiell darin, dass etwas Besseres herauskommt, als wenn man nicht verhandelt.

Die „Beste Alternative zur Verhandlungsübereinkunft“ (“BATNA” – “Best Alternative to Negotiated Agreement”) erzielt man dadurch, dass man  – statt jede Lösung unterhalb des Limits auszuschließen – jeden Vorschlag mit der Besten Alternative vergleichen und sehen sollte, was mehr den Interessen dient. So kann man eventuell doch noch ein Vertragsschluss zustande kommen (“ZOPA” – “Zone Of Possible Agreement”).

… wenn die Gegenpartei nicht mitspielt?

Feilscht die Gegenpartei um Positionen, so kann man die Strategie des Verhandlungs-Judo anwenden.

Diese Strategie konzentriert sich auf die Handlungen der Gegenseite: Sie kontert die grundlegenden Bewegungen beim Feilschen um Positionen, indem sie die Aufmerksamkeit auf die sachliche Ebene lenkt. Hierdurch soll eine Spirale aus Aktion und Reaktion vermieden werden.

Taktiken des Verhandlungsjudos sind:

Nicht die Position der Gegenpartei angreifen, sondern einen Blick dahinter werfen!

Die Gegenposition sollte als mögliche Option betrachtet werden, inwieweit diese Position den Interessen beider Seiten gerecht wird.

Fragen stellen und die Macht des Schweigens nutzen!

Statements provozieren Widerstand, Fragen dagegen Problemlösungsvorschläge. Außerdem bieten Fragen keine Gelegenheit zur Verweigerung und keine Zielscheibe für Angriffe.

Schweigen ist eine der besten Waffen! Schweigen vermittelt der anderen Partei oft den Eindruck, als sei alles festgefahren und man fühlt sich irgendwie gedrängt, diese Situation zu überwinden, indem die Frage doch noch beantwortet wird oder ein anderer Vorschlag gemacht wird.

Tipp

Wenn das Verhandlungs-Judo nicht funktioniert, so sollte man eine Drittperson einschalten Ø ØDiese Drittperson sollte Übung im Umlenken der Diskussion auf Interessen, Optionen und Kriterien haben.

Literaturhinweise

  • Fischer / Ury / Patton, Das Harvard-Konzept
  • Fisher / Shapiro, Beyond Reason – Using Emotions as You Negotiate
  • Ury, Getting Past No – Negotiating In Difficult Situations