Tornado-Phänomen (Moore)

19.11.2020 | Business Know-How

Wenn Sie ein neues Produkt anbieten wollen, sollten Sie bei der Bestimmung Ihrer Zielgruppe darauf achten, ob und in welchem Maß sie gewillt ist, neue Technologien zu akzeptieren. Geoffrey A. Moore erkannte in diesem Zusammenhang das sogenannte Tornado-Phänomen. Es erklärt die Strategieentwicklung im Verlauf des Produktlebenszyklus eines Produkts in schnell wachsenden Märkten.

Moore teilte die Kunden in fünf unterschiedliche Gruppen ein, die entsprechend der Phase im Produktlebenszyklus angesprochen werden:

  • Innovatoren (innovators): Diese Gruppe zeichnet sich durch eine starke Technikbegeisterung aus. Innovatoren sind meist sehr aufgeschlossene Kunden, die vor allem Interesse an Neuem haben, Produktideen testen und bereitwillig Feedback zum Produkt geben. Sie erwerben ein Produkt, um herauszufinden, welche Möglichkeiten sich dadurch eröffnen, wobei es für sie keine Rolle spielt, ob die Technologie noch nicht ausgereift ist. Sie bilden die typischen ersten Kunden, bringen daher noch keinen Umsatz, sind aber wichtig, um das Produkt bekannt zu machen.
  • Frühe Anwender (early adopters): Sie gelten als Visionäre und Revolutionäre und versprechen sich Wettbewerbsvorteile durch die Nutzung neuer, innovativer Produkte. Kinderkrankheiten der neuen Technologie sind ihnen gleichgültig, wenn der Nutzen höher ist.
  • Frühe Mehrheit (early majority): Sie sind die Pragmatiker unter den Kunden. Diese Gruppe akzeptiert keine Fehler, erwartet ein ausgereiftes Produkt, umfangreichen After-Sales-Service und am besten eine Garantie des jungen Unternehmens, dass es auch in einigen Jahren noch existiert und eine gewisse Abnahmemenge produzieren kann. Juristen und Einkaufsabteilungen kommen ins Spiel und setzen die jungen Unternehmen unter Druck. Unterschiedliche Rollen beim Einkaufsverhalten kommen zum Tragen, zum Beispiel die des Juristen, Controllers und Technikers. Sie wählen bevorzugt den Marktführer, da der Markt sich am wahrscheinlichsten an die Marktführer anpasst und somit das Risiko sinkt.
  • Späte Mehrheit (late majority): Die Konservativen unter den Kunden bevorzugen sehr weit entwickelte, bewährte Produkte. Zudem sind sie sehr preisbewusst, weshalb sie weniger in neue Technologien investieren wollen.
  • Nachzügler (laggards): Sie gelten als Skeptiker und setzen erst dann eine neue Technologie ein, wenn die alte immer schwieriger erhältlich ist oder nur noch unter hohen Kosten aufrechterhalten werden kann.

Auf Grundlage dieser Einteilung lassen sich vier Strategien in zeitlicher Reihenfolge benennen:

  • Überqueren der Kluft (crossing the chasm): Wird ein innovatives Produkt auf einen Markt eingeführt, bedient es zunächst die ersten beiden Kundengruppen (Innovatoren, Visionäre). Da diese grundsätzlich mit Mängeln des neuen Produkts leben können, ist es relativ einfach, ihr Interesse zu wecken. Allerdings sind diese Personengruppen eher klein und erzeugen häufig keinen ausreichenden Umsatz, um das Unternehmen nachhaltig im Markt zu etablieren. Um dies zu erreichen, ist es notwendig, auch die nächste Kundengruppe, die frühe Mehrheit, zu erreichen. Allerdings unterscheidet sich diese stark von den Innovatoren und den frühen Anwendern (chasm), sodass hier ein Umschwung bei der Ansprache der Kunden stattfinden muss. Es müssen Nischen bedient werden und zumindest sollten drei große innovative Unternehmen als Erstkäufer gefunden werden, um sie als Referenzen zu gewinnen.
  • Bowlingbahn (bowling alley): In dieser Phase werden Nischen ausgewählt, die spezifisch bedient werden können. Wird das Produkt von einem Kunden erfolgreich verwendet und weiterempfohlen, so ziehen weitere Unternehmen aus der entsprechenden Nische nach. Wichtig ist es, in dieser Phase möglichst konkurrenzlos zu bleiben. Die Abgrenzung vom Wettbewerb bzw. das Ausschalten des Wettbewerbs ist vor allem mit einer Kostenorientierung erfolgreich, denn die zu erreichende Kundengruppe setzt sich aus Pragmatikern zusammen, die einen solchen Ansatz bevorzugen.
  • Tornado: Nachdem die Nischen erschlossen wurden, geht es nun darum, die großen Märkte zu erschließen. Hierbei muss die Produktstrategie von kundenspezifisch angepassten Produkten, also einer Individualisierung, zu einer Standardisierung umgewandelt werden. Um die Menge an Aufträgen bewältigen zu können, müssen die Produkte weitestgehend standardisiert werden. Auslöser für den Tornado ist die Etablierung im Nischenmarkt und eine Anpassung an die infrastruktur- und produktorientierten Käufer. Die Standardisierung ermöglicht eine strukturierte Produktion, wodurch auch die Infrastruktur gefestigt werden kann. Die weiteren Spezialisierungen des standardisierten Produkts übernehmen sogenannte Monkeys, die auch zukünftig Nischen bedienen und das Produkt hierfür entsprechend erweitern.
  • Hauptstraße (main street): Ziel ist es, am Ende Marktführer zu sein. Dies gelingt, indem man die Pragmatiker für sich gewinnt. Hat sich das standardisierte Produkt etabliert und ist die Anpassung an den Massenmarkt erfolgreich vonstattengegangen, können in der Rezession wieder Individualisierungsmaßnahmen vorgenommen werden. Das Kernprodukt bleibt bestehen, allerdings kommen individuell auswählbare Zusatzeigenschaften hinzu. Mit dieser Strategie kann ein Unternehmen mit einem Produkt am längsten auf dem Markt bestehen.