Einen objektiven Unternehmenswert gibt es in der Praxis nicht. Während Unternehmer, die ihr Unternehmen verkaufen wollen, neben den Sachwerten auch die Arbeit sehen, die sie in der Vergangenheit in das Unternehmen investiert haben, denkt der Erwerber daran, was er mit dem Unternehmen in Zukunft erwirtschaften und wie er den Kaufpreis finanzieren kann. Beide kommen daher nicht selten zu unterschiedlichen Wert- und Preisvorstellungen, wenn es um den Kaufpreis geht. Eine rechtlich verbindliche Vorgehensweise für die Unternehmensbewertung existiert nicht. Wissenschaft und Praxis haben daher unterschiedliche Methoden entwickelt, um den Unternehmenswert zu ermitteln. Jedes Verfahren kann nur Anhaltspunkte für die Ermittlung des Wertes und damit des Preises geben.
Als Beispiele sind im Folgenden die gängigsten Verfahren beschrieben.
Ertragswertverfahren
Das Ertragswertverfahren ist die meist verbreitete Methode zur Ermittlung des Unternehmenswertes. Das Ertragswertverfahren ist für Unternehmen aller Rechtsformen, Branchen und Größen
anwendbar.
Bei dem reinen Ertragswertverfahren entspricht der Wert des Unternehmens dem Barwert aller zukünftigen Einnahme-Überschüsse. Der Ertragswert wird somit bestimmt durch den erwarteten Unternehmenserfolg in den folgenden Jahren und durch einen Kapitalisierungszinsfuß, mit dem die zukünftigen Überschüsse auf den Zeitpunkt des Verkaufs abgezinst werden.
Die Prognose der zukünftige Erträge baut in der Regel auf den Werten der Vergangenheit auf. Die Erträge aus der Vergangenheit sind jedoch nur ein Indikator unter vielen für die zukünftige Entwicklung des zu bewertenden Unternehmens. Für den Erwerber des Unternehmens ist entscheidend, wie viel Gewinn er in Zukunft mit dem Unternehmen erwirtschaften kann.
Der Ertragswert errechnet sich aus dem Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit (Betriebsergebnis) der letzten drei bis fünf Jahre, das um verschiedene Positionen bereinigt wird. Durch die Berechnung des durchschnittlichen Gewinns in der Vergangenheit und dessen
Abzinsung auf den Bewertungsstichtag soll auf die langfristige Ertragskraft des Unternehmens in Zukunft geschlossen werden („ewige Rente“).
Ein mögliches Vorgehen ist wie folgt:
1. Ergebnisbetrachtung der einzelnen Vorperioden der letzten drei bis fünf Jahre:
Betriebsergebnis
– kalkulatorischer Unternehmerlohn
– außerordentliche Erträge (Zuschüsse, nicht abzugsfähige Betriebsausgaben)
+ außerordentliche Aufwendungen (Sonderabschreibungen, Spenden)
+ Zinsen, Abschreibungen, Steuern
± weiter nicht dem direkten Betriebszweck dienende Erträge/ Aufwendungen
= Bereinigtes Betriebsergebnis
2. Gewichtung der Einzelergebnisse
Um die Aussagekraft der Jahresergebnisse zu verfeinern, können Gewichtungsfaktoren eingesetzt werden, die die Ergebnisse (Gewinne) jüngerer Perioden stärker hervorheben.
3. Ermittlung des durchschnittlichen Gewinns
Die jährlichen Ergebnisse bzw. Gewinne werden addiert und anschließend
- durch die Anzahl der Perioden oder
- durch die Summe der Gewichtungsfaktoren
geteilt, um den durchschnittlichen (gewichteten) Gewinn zu erhalten.
4. Ermittlung des Abzinsungsfaktors
Um aus dem durchschnittlichen Gewinn den Ertragswert zu erhalten, folgt die Abzinsung des Betrags mit einem Kapitalisierungszinssatz. Der Kapitalisierungszinssatz spiegelt das Investitionsrisiko wider, das heißt, man kann mit ihm die mögliche Rendite des Unternehmenskaufs mit dem Ertrag anderer Anlagemöglichkeiten vergleichen. Dieser Zinssatz ergibt sich aus einem Basiszinssatz, der aus einer Alternativanlage abgeleitet wird.
Üblicherweise unterstellt man dafür die Rendite einer quasi-sicheren Anlageform (Zinssatz für langfristig erzielbare Renditen öffentlicher Anleihen). Dem Basiszinssatz wird ein Aufschlag für das interne und externe Unternehmensrisiko (Marktrisiko, Branchenrisiko, Kundenstrukturrisiko, Standort usw.) hinzugerechnet.
5. Ermittlung des Èrtragswertes
Der Ertragswert wird nun durch folgende Formel ermittelt:
Ertragswert = Cashflow / Kapitalisierungszinssatz * 100
Beispiel
1. und 2. Ergebnisbetrachtung und Gewichtung
3. Ermittlung des durchschnittlichen Gewinns
60 T€/3 = 20 T€ durchschnittlicher Gewinn
oder
60 T€/6 = 10 T€ durchschnittlicher und gewichteter Gewinn
4. Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes
2% angenommene Rendite für Bundesanleihen (Laufzeit ab zehn Jahre)
+ 5% Risikozuschlag für externe Risiken
+ 7% Risikozuschlag für interne Risiken
= 14%
5. Ermittlung des Ertragswerts
20 T€/0,14 = 142,8 T€
bzw.
10 T€/0,14 = 71,4 T€
An diesem Beispiel wird deutlich, wie sehr die Berechnung von der Ermittlung der Rechengrundlage „Betriebsergebnis“ abhängt. Der zweite Einflussfaktor ist der Kapitalisierungszins; hierbei wirkt eine höhere Risikoprämie mindernd auf den errechneten Unternehmenswert.
Discounted-Cash-Flow-Methode
Die Discounted-Cash-Flow-Methode unterscheidet sich von der Ertragswertmethode dadurch, dass nicht der zukünftige Gewinn, sondern der zukünftige freie Cash-Flow mit dem Kapitalisierungszinssatz abgezinst wird.
Der Cash-Flow zeigt den eigenerwirtschafteten Betrag an, der im Unternehmen für Investitionen, Kredittilgung, Steuerzahlungen und für drohende Liquiditätsengpässe usw. tatsächlich zur Verfügung steht. Er hat dadurch einen höheren Aussagewert über die Finanzkraft eines Unternehmens als der Ertragswert.
Er berechnet sich aus dem Gewinn zuzüglich nicht-auszahlungswirksamer Kosten wie Abschreibungen, kalkulatorische Miete und Zinsen abzüglich der Einzahlungsüberschüsse.
Der Unternehmenswert ergibt sich nach dieser Methode ebenfalls durch Abzinsung mithilfe des Kapitalisierungszinssatzes. Die Formel lautet:
Unternehmenswert = Cashflow / Kapitalisierungszinssatz * 100
Substanzwertverfahren
Die Anwendung des Substanzwertverfahrens ist vor allem für Unternehmen mit besonders hohem Anlagevermögen geeignet bzw. für kleinere Unternehmen, deren Ertragskraft im Branchendurchschnitt eher gering und von der Unternehmerpersönlichkeit geprägt ist.
Bei dieser Methode werden alle Maschinen, Warenbestände, Fahrzeuge, Immobilien etc. des Unternehmens einzeln bewertet. Eine vorherige Inventur zur Bestandsaufnahme aller Vermögensgegenstände und Schulden empfiehlt sich.
Beim Substanzwertverfahren werden die Kosten addiert, die bei der Reproduktion des vorhandenen Unternehmens anfallen würden. Der Substanzwert bezeichnet den gegenwärtigen Verkehrswert aller materiellen, immateriellen, betriebsnotwendigen und nicht betriebsnotwendigen Vermögensgegenstände, abzüglich der Schulden und Verbindlichkeiten des Unternehmens. Die Substanz kann unter der Annahme der Fortführung (Substanzwert) oder der Liquidation (Liquidationswert) eines Unternehmens ermittelt werden.
Der Substanzwert wird bestimmt durch Anschaffungswert, Zustand, durchschnittliche technische Nutzungs- und Lebensdauer der zu veräußernden Wirtschaftsgüter, aber natürlich auch durch die Nachfrage nach diesen Gütern. Die Schwierigkeit, die immateriellen Werte zu berechnen, führt in der Praxis meist dazu, dass nur die materiellen Werte erfasst werden. Immobilien können vereidigte Gutachter schätzen. Bei der Schätzung des Substanzwertes der beweglichen Wirtschaftsgüter helfen ebenfalls vereidigte Sachverständige, Berater oder Verbände.
Beim Liquidationswert wird geschätzt, welche Verkaufserlöse die Wirtschaftsgüter erzielen können, wenn sie einzeln verkauft werden. Es ist offensichtlich, dass hierbei viele wertsteigernde Faktoren außer Acht gelassen werden. Angewendet wird das Verfahren nur bei chronisch unrentablen Betrieben. Der Liquidationswert stellt daher die absolute Wertuntergrenze des Unternehmens dar.
Der Substanzwert wird aus der Summe der im Unternehmen vorhandenen Vermögensgegenstände abzüglich der Verbindlichkeiten ermittelt. Dieser gibt an, welchen Betrag man zum aktuellen Zeitpunkt aufwenden müsste, um ein Unternehmen mit gleicher
Ausstattung zu errichten:
Anlagevermögen (Aufstellung lt. Bilanz)
+ Umlaufvermögen (z. B. Warenlager)
– Rückstellungen
– Verbindlichkeiten
= Substanzwert
Wichtig
Das Substanzwertverfahren sagt nichts über die zukünftigen Erträge aus, ist allerdings für die Besicherung von Bankdarlehen von Bedeutung.
Mittelwertverfahren
In der Praxis kombiniert man meist das Ertragswert- und Substanzwertverfahren im sogenannten Mittelwertverfahren.
Das Verfahren basiert auf der Überlegung, dass der Ertragswert zwar den eigentlichen Unternehmenswert darstellt, dessen Ermittlung aber auch mit Unsicherheiten behaftet sein kann. Deshalb wird die vorhandene Unternehmenssubstanz in die
Bewertung einbezogen.
Bei dieser Methode bewertet man die Ertragskraft und die technische Ausstattung eines Unternehmens gleichermaßen. Dabei werden sowohl Ertragswert als auch Substanzwert mit einer Gewichtung versehen, wobei der Ertragswert in der Regel zu 90 Prozent den Unternehmenswert bestimmt und der Substanzwert zu 10 Prozent. Die Gewichtung kann jedoch je nach Branche sowie Größe und Alter des Unternehmens abweichen. Unternehmen, deren Substanz tatsächlich von besonders hohem
Wert ist (beispielsweise Immobiliengesellschaften), müssen den Substanzwert höher gewichten.
Unternehmenswert = (Ertragswert x 0,9) + (Substanzwert x 0,1)
Marktwertverfahren
Ein weiterer Ansatz zur Wertermittlung ist der Marktwert, der sich letztlich aus dem Spiel von Angebot und Nachfrage als Gleichgewichtspreis ergibt.
Bei börsennotierten Unternehmen ist dies der Börsenwert. Bei anderen Unternehmen können börsennotierte Unternehmen oder in jüngster Vergangenheit übertragene Unternehmen der gleichen Branche und Größe Anhaltspunkte für die Wertermittlung geben.
Die Unternehmensbewertung hängt von vielen Faktoren ab und auch die Wahl des Verfahrens ist nicht immer eindeutig. Hilfestellung bei der Ermittlung des Unternehmenswertes bieten Ihnen die Kammern, Ihre Bank, Steuer- und Unternehmensberater und Wirtschaftsprüfer. Wichtig bei der Auswahl externer Berater für die Unternehmensbewertung ist sowohl die Erfahrung in Bewertungen ls auch die Kenntnis über die Marktsituation von Unternehmen aus der Branche.
Hinweis
Am EMF-Institut der HWR Berlin ist mit dem KMU-Rechner ein an der Praxis orientiertes wissenschaftliches Tool entwickelt worden. Der KMU-Rechner unterstützt bei der Berechnung eines individuellen Unternehmenswertes. Er ist frei zugänglich und vollständig kostenfrei. Es werden keine persönlichen Daten abgefragt, alle Eingaben sind anonym. Schon mit wenigen Angaben bekommt der User ein Ergebnis. Je detaillierter die Eingaben, desto genauer wird der Wert berechnet. Der KMU-Rechner verdeutlicht auch den Unterschied zwischen Wert und Preis und berechnet die Finanzierbarkeit eines Kaufpreises.